Aus dem Buch „ A Bigger Message“, Gespräche mit David Hockney,
von Martin Gayford
Piet Meyer Verlag AG, Bern, 2012
Baumbilder sind Porträts, in denen jede Riesenpflanze ein Individuum verkörpert,
wie ein alter Freund. Bäume haben ein zweifaches Wesen.
Sie sind wie menschliche Gestalten in der Landschaft, pflanzliche Riesen,
einige heroisch, einige anmutig, einige gespenstisch. Sie sind aber auch bemerkenswerte Zeugen natürlicher Konstruktionskunst, die imstande ist,
im Sommer eine Tonne Laub gegen die Kräfte der Gravitation und des Windes in die Höhe zu halten. Natürlich erschaffen menschliche ArchitektenBauwerke, die größer
und von beeindruckender Schönheit sind. Aber eine Kathedrale wird erbaut,
sie wächst nicht. Ein Baum dagegen mag wachsen,muß aber von dem Moment an,
da er aus dem Keim schlüpft, voll funktionstüchtig sein.
Bäume sind Erscheinungen in der Landschaft und fangen Raum und Licht ein.
Als Markierungspunkte unterteilen sie das Land in Flächen. Sie nehmen auch Raum
in sich auf, vor allem, wenn ihre Äste kahl sind. Ein kahler Baum hilft dabei, im Labyrinth seiner Struktur auf komplexe Weise Raum zu empfinden.
Mit Laub fungiert der Baum eher als ein Empfänger von Licht. Licht wiederum ist nicht leicht zu erfassen, es sei denn, es fällt auf etwas. Und meistens wird das größte, komplexeste Gebilde,was im Freien zu sehen ist, ein Baum oder mehrere Bäume sein. Wenn wir Bäume anschauen, betrachten wir eigentlich die Schönheit eines bestimmten Lichts.